Lilli Cremer-Altgeld. Toscana. |
Ich weiss nicht mehr genau, wann ich mich entschieden hatte – aber irgendwann war mir klar: KUNSTGESCHICHTE IST MEIN LEBEN!
Ich hatte bereits 4 Semester und eine bestandene Prüfung in Kunstgeschichte
hinter mir als ich mich bei einem berühmten Professor für Kunstgeschichte an der Uni anmeldete. Eine gute Freundin, die an dieser Hochschule Altgriechisch unterrichtete,
hatte mir den Zugang ermöglicht. Ich erhielt drei Themen für das
Professoren-Gespräch. Und ging studieren. Zuerst nach Frankreich: Gotische
Kathedralen. Dann nach Florenz: Michelangelo. Schliesslich nach Griechenland:
die Kunst im Zeitalter des Perikles.
Ich fühlte mich gut vorbereitet und sicher. Und so verlief
auch das Gespräch. Siegessicher und hoffnungsfroh durchlief ich diese Prüfung.
Wusste jede Antwort, konnte gut beschreiben, erklären, interpretieren. Wäre
dies ein Fussballspiel, so hätte ich zum Schluss gesagt: 10:0 für mich.
Tja.
Zu früh gefreut.
Ich bekam zwar ein einwandfreies Feedback. Gute Chancen für
ein gutes Studium.
Aber zu früh gefreut.
So gut wie ich das alles machte, so gut würde auch mein
weiterer Lebensweg sein. Dazu würde ich seine Hilfe nicht brauchen. Er, so der
Prof, würde sich lieber um die kümmern, die nicht aus der Oberschicht kommen
und in ihrer Freizeit Homer im Original lesen. Er würde sich lieber um die
Benachteiligten kümmern. Und die fördern, die aus einfachen Verhältnissen nach
oben streben.
Sprach ‘s. Lächelte. Und führte mich zur Tür.
Einwände lächelte er hinweg.
Oberschicht?
Homer im Original lesen?
Meine Eltern hatten mehrere Restaurants. Gewiss, es gab Promis unter unseren Kund/innen: Fussballweltmeister, Top-Manager/innen, Schauspieler/innen. Gewiss, wir waren auch öfter in der Presse. Auszeichnungen für die feine Küche. Aber: Oberschicht? Homer?
Ich kannte Einkauf. Küche. Service. Freizeit? Fremdwort.
Ich kannte den Großmarkt Rungis in Paris. Unser Küchenchef
hatte die beste Hotelfachschule der Schweiz besucht. Und ich hatte schliesslich in dem Hotel meine
„Lehrjahre“ absolviert, in dem die Familie Adenauer zu privatem Essen einlud.
Aber Homer?
Ich kannte alle 36 Rezepte für Kartoffel, die man zurzeit
von Louis le Grand (Louis XIV) als Koch kennen musste. Ich konnte ein Menu mit
21 Menu-Gängen zusammen stellen, wusste wo und wie welcher Champagner gelagert
wurde. Homer?
Ich kannte Einkauf. Küche. Service. Freizeit? Fremdwort.
Homer im Original lesen? Ich war froh, wenn ich es schaffte,
die Tageszeitung zu lesen.
Aus der Traum vom Kunststudium! Neuer Versuch bei einem
anderen Professor? Einem, der weniger zynisch ist? Mit besserer Menschenkenntnis?
Ja. Ich habe darüber nachgedacht. Jedoch dachte ich dann auch: Es hat eine Bedeutung,
dass ich nicht in der Gruppe dieses Professors aufgenommen wurde. Ich muss
jetzt nur noch diese Bedeutung finden.
Ich machte es mir nicht leicht, denn sonst hätte ich es
schon früher wissen müssen. Meine eigentliche Liebe war schon immer die
POLITIK. Das war mein Leben. Und so ist es auch heute noch: Politik &
Politische Wissenschaft. Wie konnte es nur sein, dass ich das nicht von Anfang
an erkennen konnte?
Wenn "Zu-früh-gefreut" Ihren Weg kreuzt, denken Sie an die Worte, die mir damals ein Freund nahe legte: "Das neue Glück wartet schon auf Sie. Geben
Sie ihm eine Chance." Mein Glück war und ist die Politik. Ich habe dann Politische Wissenschaft studiert. Und bis heute kann ich sagen: Das war und ist richtig!
Sollten Sie eine Freundin haben, die an der Uni
Altgriechisch unterrichtet oder mit Homer unter dem Arm rumläuft – halten Sie
inne und fragen Sie sich, ob es gut ist, dass sie Ihnen mit Vitamin B zu einem
Vorstellungsgespräch verhilft.